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VIOLA CONCERTO «no templates» (2020-21 / 2023-24)

Commissioned by Sinfonieorchester Basel supported by Ernst von Siemens Musikstiftung,
Münchner Kammerorchester, Lucerne Festival supported byStiftung Pierre Boulez,
Tongyeong International Music Festival and Esprit Orchestra Toronto.

Dedicated to Wolfgang and my family


Anders als etwa im Orchesterwerk „glut“ oder im Klavierkonzert, wo Spektralharmonik mit all ihren mikrotonalen Färbungen verwendet wurde, gibt es im neuen Konzert Akkorde, die zwar ähnlich aufgebaut sind, jedoch in der temperierten Stimmung verbleiben.
Damit vollzieht sich ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer unverstellten Tonalität. Unverstellt, aber nicht unreflektiert, denn diese Zonen von Tonalität werden einerseits verschiedenen Zuständen von (In)Stabilität ausgesetzt und darüberhinaus mit klanglich völlig unterschiedlichen Atmosphären konfrontiert.
Ähnlich wie die Tonalität wurde auch die Idiomatik der Viola befragt. Es galt, mittels typischen und oft verwendeten Charakteristika (zum Beispiel die Quint der Leersaitenstimmung), also mit beinahe „abgegriffenem“ Grundmaterial, eine Musik zu schaffen, die diese Gegebenheiten reflektiert und ihnen neue Bedeutungen abzugewinnen vermag.
Eine weitere Herausforderung die ich mir selbst auferlegt hatte, war die Entscheidung, das Soloinstrument über weiteste Strecken auf seine Möglichkeiten in seinen tiefen Lagen hin zu erkunden. Diese radikale Einschränkung des Ambitus erforderte ein anderes Denken, neue Strategien, beeinflusste natürlich die Klang(er)findung und erfüllte somit ihren Zweck, durch Restriktion auf neue Lösungen zu kommen. Der leicht zu habende und deshalb gerade im Solokonzert oft zur Verwendung gelangende Effekt des Spiels im hohen Register fiel so weg. Eine Ausnahme davon bildet der Schluss und ein kurzer Abschnitt gegen Ende der Kadenz („Cadenza II, Ins Offene“), der eine persönliche Referenz an Wolfgang Rihm darstellt. Dieser hatte mir just an meinem Geburtstag des letzten Jahres seine allerletzten Skizzen geschickt, in welche er einen von mir vorgeschlagenen Phrasenabschluss eingearbeitet hatte.

Zum allerersten Mal wird also die Musik in ihrer Formwerdung auch von Ereignissen ausserhalb ihrer selbst „kontaminiert“, was sich im musikalischen Verlauf auch ganz direkt zeigen kann, wenn ein Schubert-Lied mitsamt seinem Daktylus aufscheint.   Nebst dem Tod des intimsten Komponistenfreundes liegen die weiteren Gründe dafür einerseits in der Veränderung der Ordnung, mit welcher meine Generation in Westeuropa aufgewachsen ist, andererseits mit Schwierigkeiten in persönlichen Lebensbereichen, etwa die Gesundheit betreffend.
Dass man dies alles nicht hörenderweise nachvollziehen muss, versteht sich von selbst, denn meine Musik ist nicht Mittel, sondern der Zweck. Es ist mitnichten „Programmmusik“, der Klang ist kein Vehikel für einen wie auch immer gearteten aussermusikalischen Informationstransfer. Er IST die Information. Er spricht nicht über sich, sondern aus sich, ja eigentlich „für sich“ im Wortsinn. Aber er entsteht ja nicht aus dem Nichts, und je älter ich werde, desto untrennbarer sind die äusseren und inneren Bedingungen des Lebens miteinander verbunden.

Zum Verhältnis Soloinstrument- Orchester ist zu sagen, dass ein komplexes, vielfältig variierendes Netz von Beziehungen hergestellt wurde, was die Funktionen und die Nähe oder Distanz zueinander anbelangt.
Dadurch entsteht eine Dramaturgie voller Innenspannung, die von völliger Verzahnung von Viola und Orchester, ja gar einem kompletten Untertauchen des Soloinstruments bis hin zur ungefährdeten, subjektiv- intimen Lautäusserung desselben, zum Beispiel in der Schubert-Allusion, reicht.

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