Die lange Entstehungszeit des Klavierkonzerts ist eng verknüpft mit dem Solisten, Andreas Haefliger. Als wir uns zum ersten Mal trafen, bemerkten wir schnell, dass die Chemie zwischen uns stimmte. Als Andreas mich dann vor Jahren darum bat, ein Klavierkonzert zu schreiben, war ich von dem Vorschlag alles andere als begeistert, wusste ich doch, dass die Arbeit an einem solchen Werk nicht Monate, sondern Jahre benötigen würde. Der Grund dafür ist meine skrupulöse, perfektionistische und gleichzeitig auch risikoreiche Arbeitsweise, da sie hauptsächlich auf künstlerischer Intuition beruht (etwas, was sich schwerlich erzwingen lässt), wobei ich unzählige Optionen in Betracht ziehen, auswählen oder auch verwerfen muss. Die daraus resultierende Musik ist bis ins kleinste Detail dicht gewoben, vielschichtig, hoch energetisch und bewegt sich oft in schnellen Tempi. Da das Klavier für mich eigentlich schon ein kleines Orchester darstellt und sich ein gross besetztes Orchester dazu gesellt, war mir klar, dass die Realisierung meiner Vorstellungen eines konzertanten Werks dieser Gattung dementsprechend noch mehr Zeit benötigen würde.
Als ich 2014 mit der Komposition des Orchesterwerks „glut“ begann, hatte ich Andreas’ Herausforderung unterbewusst wohl bereits angenommen, entschied ich doch, das Klavier in der Funktion des Orchesterinstruments zu integrieren. Die daraus gewonnenen Erfahrungen waren ein weiterer, wichtiger Schritt hin zum Klavierkonzert, an welchem ich Ende 2016 zu arbeiten begann. Ursprünglicher Arbeitstitel war „no templates“, womit primär eine Offenheit des Denkens im Umgang mit dieser Gattung gemeint ist, aber auch eine Offenheit bezüglich der Vielfalt der eingesetzten Mittel.
Das Konzert beginnt mit einem einsamen, pulsierenden Einzelton, der rasch Reaktionen des Orchesters hervorruft. Es ist offensichtlich, dass das Orchester keineswegs eine passive Begleitfunktion hat, sondern dem Solisten vielmehr auf Augenhöhe begegnet. Das „Interplay“ zwischen den beiden kongenialen Partnern erzeugt einen dramaturgisch packenden Verlauf mit überraschenden Drehungen und Wendungen. Als Hörer liebe ich es, in eine Vielzahl von unterschiedlichen klanglichen Zuständen geworfen zu werden und mich von der Musik mitreissen zu lassen. Als Komponist verdichte ich dementsprechend jede „klangliche Vision“ derart, dass sie das Potential hat, Träger hoher Energie zu werden. Der hohe Dichtegrad sowohl der Solostimme als auch der Orchestertexturen, und darüber hinaus die enge Verzahnung beider Parteien, erfordern grosse Virtuosität von allen Beteiligten.
Diese Verzahnung kann gar dazu führen, dass ein Bewegungsimpuls auf den Tasten seine klangliche Entsprechung in einer Fülle von Orchesterfarben findet. Die koloristische Palette des Klaviers wird dadurch um ein Vielfaches potenziert, zum Beispiel wenn durch Verschmelzung mit Marimba- und Vibraphon eine Art „Super-Instrument“ geformt wird. Während des musikalischen Dramas wird der Solist vom Orchester bisweilen gar geschluckt und so zu einem Rädchen in der „Orchestermaschine“. Auch in den Solopassagen wirkt der wechselseitige Material- und Energiefluss oft subkutan weiter, sodass sich das Soloinstrument nicht ins Subjektive oder gar Unverbindliche flüchten kann.
Durch seine vorwärtstreibende Art wandelt sich das Klavier manchmal zu einer Art Schlagzeug und zeigt mittels perkussiven Figuren seine Virtuosität auch im Rhythmischen (daher der Untertitel). Die Harmonik weist ebenfalls eine grosse Bandbreite auf, in welcher das Orchester sein ganzes Farbenspektrum entfalten kann.
Es gibt helle, konsonante Akkorde, aber auch harte Klangcluster bis hin zum Geräuschhaften, wobei die temperierte Stimmung auf Mikrotonalität trifft, letztere in Form von Spektralharmonik oder Vierteltönigkeit (als weitere Unterteilung der Chromatik).
Bisweilen kommt die Musik auch zur Ruhe und schöpft Atem in statischen, aber inwendig oft irisierenden Klangmomenten. So zitiert etwa der Solist, in einem Moment innerer Kontemplation, ein ruhiges, choralartiges Thema („Corale malinconico“) aus meiner allerersten Komposition. Ein anderes Beispiel findet sich gegen Ende der musikalischen Reise in der hypnotischen Klangwelt, in welcher das Klavier auf langsam aufsteigende, mikrototale Streicher trifft, bevor es sich in einem herzschlagähnlichen Pochen erschöpft.
Aber - wie immer in der Kunst - liegen Wirkung und Botschaft des Werks zwischen den Noten und jenseits der Worte. Die Hörer sind eingeladen, diese auf ihre persönliche, subjektive Art zu entdecken - denn konzertante Musik hat das Privileg, über nichts anderes als sich selber erzählen zu dürfen.
Obwohl ein grosser Teil des Konzerts des Nachts, bisweilen bis ins Morgengrauen hinein, entstand, ist das Resultat eine helle Musik, die Menschen mit einem wachen Geist gewidmet ist.
The long genesis of the piano concerto is tightly connected to the soloist, Andreas Haefliger. When we first met years ago, we instantly realized, that our chemistry was right. One day Andreas suggested, that I should write a piano concerto for him. This proposal did not delight me in the beginning since I knew, that it would take me not only months but years to work on this piece. The reason for this is my scrupulous, perfectionist way of working, which is at the same time risky because it is mainly based on artistic intuition (something you can hardly force), whereby I have to consider, select or exclude countless options. The resulting music is densely woven right down to the last detail, multi-layered, highly energetic and often moving in fast tempi. Since I consider the piano to be a little orchestra in its own right and I had to add a large orchestra, it was obvious that in order to realize my ideas of a concertante work of this genre I'd require even more time.
When I began my work on “glut”, a piece for orchestra, in 2014 I seemed to have subconsciously accepted Andreas’ challenge already because I decided to integrate the piano as an orchestral instrument. These experiences were a further, important step towards the piano concerto, which I started working on in the end of 2016. The original working title was „no templates“, which primarily means an openness of thought in the approach of this genre, but also an openness in relation to the variety of means used.
The piece starts with a solitary, pulsing single tone which rapidly causes reactions by the orchestra. It is obvious that the orchestra is not just a mere passive accompaniment, but it rather meets the soloist on eye level. The interplay between the two congenial partners creates a dramaturgically gripping progression with many surprising twists and turns. As a listener I like to be thrown into a variety of different musical conditions and to be thrilled by the music. As a composer, I condense every “tonal vision” with the result that they can potentially become carriers of high energy. The high level of density within the piano’s and the orchestra’s parts and furthermore the close interlocking of the two parties require great virtuosity of all participants. This interlocking can even result in a movement impulse on the keyboard finding his tonal counterpart in an abundance of orchestral colors. This potentiates the coloristic palette of the piano many times over, for example when a kind of“ super-instrument“ is formed by merging with the marimba- and the vibraphone.
During the musical drama, the soloist is sometimes even swallowed by the orchestra and thus becomes a cog in the "orchestra machine". Even in the solo passages, the interdependent flow of material and energy often continues subcutaneously, so that the solo instrument cannot flee into the subjective or even non-binding.
Due to its driving behaviour the piano sometimes turns into some type of percussion and shows its rhythmic virtuosity through percussive figures (hence the subtitle).
The harmony also offers a wide range, in which the orchestra can unfold its full colourfulness. There are bright, consonant chords, but also hard sound clusters up to noisy sounds, whereby the tempered tuning meets microtonality, the latter in the form of spectral harmony or quarter tones (used as a diminution of the tempered chromaticism).
At times the music also comes to a rest and draws breath in static, but inside the sound often iridescent moments. Thus, the soloist, in a moment of inner contemplation, cites a quiet, choral-like theme („Corale malinconico“) from my very first composition. Another example is the mesmeric soundworld towards the end of the musical journey, where the piano meets slowly rising microtonal strings, before - after a last crescendo – it comes to an end in an exhausted, heartbeat-like throbbing.
But – as always in arts – the effect and the piece’s message lie between the notes and beyond words. The listeners are invited to discover these for themselves in a very personal, subjective way - because concert music has the privilege to tell about nothing but itself.
Although the major part of the concerto was written during night sessions and sometimes until the morning dawned, the result is bright music, dedicated to people with an alert mind.
(Translation: Amando Ammann)